Über das Werk
In Kürze
Als Calaf, der entthronte und nach Peking geflohene mongolische Prinz, sich in Prinzessin Turandot verliebt, begibt er sich in tödliche Gefahr:
Denn nur, wer die drei Rätsel der Prinzessin löst, kann ihr Bräutigam werden. Wer scheitert, wird hingerichtet – wie alle bisherigen Bewerber. Calafs Vater Timur und Liù, die Calaf ohne sein Wissen liebt, beschwören ihn umsonst. Er nimmt die Herausforderung an.
Turandot
Handlung
Der Mandarin verkündet das Gesetz: Die Prinzessin Turandot wird Gemahlin desjenigen Prinzen, der drei Rätsel lösen kann, die sie ihm stellt.
Gelingt es ihm nicht, wird er hingerichtet. Gerade hat der Prinz von Persien sein Glück versucht und ist gescheitert. Die Menge schreit nach dem Henker. Vor diesem Hintergrund trifft Calaf auf seinen Vater Timur, den entthronten König der Tataren.
Der totgeglaubte Timur wurde nach seinem Sturz von der Sklavin Liù in Sicherheit gebracht, die sich seitdem um ihn kümmert. Als Calaf nach den Gründen für dieses Opfer fragt, erklärt Liù, dass Calaf ihr im Palast einmal zugelächelt habe. Der Prinz von Persien wird zur Hinrichtung geführt. Bei seinem Anblick bittet die zuvor blutrünstige Menge um Gnade für ihn.
Auch Calaf stimmt in diese Rufe ein. Als er aber Turandot erblickt, verliebt er sich augenblicklich in sie und will sich nun selbst ihren Rätseln stellen. Die Minister Ping, Pang und Pong versuchen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Liù und Timur flehen ihn an, sich zu besinnen. Doch Calaf hat sich entschieden, er wird die Herausforderung annehmen.
Ping, Pang und Pong räsonieren über die vielen Prinzen, die bereits bei dem Versuch, Turandot zu gewinnen, ihr Leben gelassen haben, und träumen von ihrem eigenen, privaten Glück.
Die Prü-fung beginnt. Altoum, Kaiser von China und Turandots Vater, ist des Schlachtens müde. Er fordert Calaf auf, aufzugeben und fortzugehen. Calaf beharrt auf der Prüfung. Erneut verkündet der Mandarin das Gesetz.
Turandot erklärt den Hintergrund: Vor Tausenden von Jahren sei ihre Ahnin Lo-u-ling von einem Mann verschleppt, vergewaltigt und getötet worden. Nun rächt sie sich an den Prinzen, die sich um sie bewerben. Niemand werde sie je besitzen. Calaf fordert sie auf, die Rätsel zu stellen. Zu Turandots Entsetzen findet er dreimal die richtige Antwort.
Die Prinzessin fleht ihren Vater an, sie dem fremden Prinzen nicht auszuliefern, doch er lehnt ab: Heilig sei der Eid, den er geschworen hat. Als Turandot Calaf aber fragt, ob er sie mit Gewalt zu seiner Frau machen wolle, verneint er; er will von ihr geliebt werden. Er bietet einen Ausweg an: Wenn es ihr gelingt, vor Tagesanbruch seinen Namen herauszufinden, werde er sich in sein Schicksal fügen.
Die ganze Stadt ist fieberhaft bemüht, Calafs Namen herauszufinden. Turandot hat Hinrichtungen angekündigt, sollte es nicht gelingen.
Ping, Pang und Pong versuchen, Calaf zu bestechen, dann appellieren sie an sein Mitleid; alles vergebens. Als die Menge schon Gewalt anzuwenden bereit ist, zerren die Häscher Timur und Liù herbei. Calaf leugnet sofort jede Verbindung, doch die Minister wissen, dass die beiden Calaf kennen und seinen Namen nennen können.
Turandot setzt alles daran, Timur zum Sprechen zu bringen. Um ihn zu schützen, erklärt Liù, sie allein kenne den Namen des Prinzen – doch sie weigert sich selbst unter der Androhung von Folter, ihn preiszugeben. Als Turandot nach der Wurzel ihrer Stärke fragt, antwortet sie, es sei die Liebe. Sie prophezeit Turandot, auch sie werde lieben, und nimmt sich dann selbst das Leben. In der allgemeinen Betroffenheit bleiben Calaf und Turandot allein zurück.
Weiterhin will sie sich Calaf nicht unterwer- fen. Der Kuss, den er ihr raubt, ändert die Situation. Sie weint ihre ersten Tränen und gesteht, dass sie ihn gefürchtet, aber auch geliebt habe. Damit solle er sich zufriedengeben und mit seinem Geheimnis fortgehen. Er hingegen legt sein Leben in ihre Hände, indem er ihr freiwillig seinen Namen verrät: Calaf, Sohn des Timur. Bei der folgenden, alles entscheidenden Zeremonie erklärt Turandot ihrem Vater, dem Kaiser, nun den Namen des Fremden zu kennen; er sei »Liebe«.
Regisseur Claus Guth steigert den im Werk vorhandenen Surrealismus dieses zunächst äußerst grausamen Märchens, das er lieber als „Parabel“ verstanden wissen will, ins Groteske. Guth sieht Calaf, Sohn des flüchtigen Tartarenkönigs Timur, „in eine Welt geworfen, die er nicht verstehen kann“. Es handelt sich dabei um ein System, das aus seiner eigenen Logik heraus funktioniert: Prinzessin Turandot hat, um sich zu schützen, einen so brutalen wie effektiven bürokratischen Apparat um sich herum aufgebaut. Für Regisseur Claus Guth ist eindeutig, dass Turandot ihr eigenes Erleben beschreibt, wenn sie von dem Schrecklichen spricht, das ihrer Ahnin Lu-o-lin angetan wurde; der Terrorstaat ist ihre Reaktion. Die Bühne von Etienne Pluss, die Kostüme von Ursula Krdina und die Choreographie von Sommer Ulricksen zeigen ihn von außen wie von innen – und auch seinen Verfall, der für das glückliche Ende von Turandot und Calaf die notwendige Voraussetzung darstellt.
Puccini kodierte seine Partitur mit Klangzeichen, die sein Publikum zweifelsfrei einem fernöstlichen Kulturraum zuordnen würde: einer pentatonisch grundierten Klangsprache und dem pointierten Einsatz von Schlagwerk. Eingebettet in Puccinis eigene Klangwelt ergeben sie einen neuen Sinnzusammenhang, ein Puccini-Peking, das in ferne Welten zu entführen scheint, tatsächlich aber außerhalb des Theaterraumes nicht existiert.
Eine berühmte Quelle für Turandot war eine Spieluhr aus dem Besitz des Barons Edoardo Fassini-Camossi, der Puccini die Themen entnahm, die Turandot, den Kaiser und Ping, Pang und Pong markieren. Seinen Helden Calaf stilisiert Puccini mit für europäische Ohren vertrauter Musik als Identifikationsfigur und als romantischen Helden, exemplarisch nachvollziehbar an „Nessun Dorma“, der wohl bekanntesten Tenorarie der Operngeschichte.
Puccinis Komposition endet mit dem Tod Liùs, an dieser Stelle verstarb der Komponist. Die Neuproduktion bringt die ursprüngliche Fassung des nachkomponierten Schlusses zur Aufführung, den Franco Alfano nach dem Tod Puccinis im Auftrag des Ricordi-Verlages verfertigte.
Drei Rätsel stellt Turandot. Drei Minister warnen vor dem Tod, der denjenigen erwartet, der an den Rätseln scheitert. Und drei Künstler versuchten sich daran, Giacomo Puccinis unvollendetes Werk im Sinn des verstorbenen Komponisten zu Ende zu bringen.
In der Partitur des großen Musik-Erzählers Puccini stehen einander Individuum und Gesellschaft in hochgradig irritierender Weise gegenüber. Das unerbittliche System, das Turandot um sich errichtet hat, trägt Züge von Zeremonie und Groteske, von totaler Organisation und gelenkter Massenhysterie: Eine Welt, die sich aufspannt zwischen der undurchdringlichen, todbringenden Anziehungskraft Turandots und scheinbar unausgesetzten Ritualen von Bewerbung, Warnung, Prüfung und Mord. Schatten und Priester bevölkern sie. Grell überzeichnete Minister sprechen ihre Warnungen in einem Ton, der auch musikalisch zwischen Provokation und Verhöhnung oszilliert – man glaubt ihnen aufs Wort, dass sie Hochzeit und Beerdigung zugleich vorbereiten. Als Basis all dessen – der Partitur wie des Staats – fungiert die Menge, die wechselweise nach Blut schreit und um Gnade für den Verurteilten bittet. Eine unberechenbare, unheimliche Größe.