Über das Werk
Hans van Manens Videoballett Live ist ein Ikone der Tanzgeschichte:
ein intimes Ausloten von Mechanismen der Wahrnehmung für eine Ballerina, einen Danseur Noble, einen Kameramann und eine Pianistin. Martin Schläpfer ließ sich dagegen von Mahlers 4. Symphonie zu einem großen tänzerischen Welttheater über die Sehnsüchte und Verlorenheiten, Träume und Verwerfungen des modernen Menschen inspirieren.
Eine Frau, ganz allein auf der großen Bühne, mit dem Rücken uns zugewandt. Auf ihre Füße ist eine auf dem Boden liegende Kamera gerichtet. Ein Mann kommt dazu, hebt die Kamera auf und lässt sie über die Zuschauer schweifen. Riesengroß auf eine Leinwand geworfen, werden wir zu Protagonisten eines Stückes, das – mit dem Medium des Films – ein meisterhaftes Vexierspiel über die Mechanismen der Wahrnehmung eröffnet und die Grenzen des Bühnenraums sprengt.
Hans van Manen hat mit seinem Ballett Live zu Klavierwerken von Franz Liszt Tanzgeschichte geschrieben. 1979, in der Pionierzeit der Videotechnik kreiert und in Amsterdam uraufgeführt, wurde Live bisher ausschließlich von Het Nationale Ballet getanzt, dem Hans van Manen bis heute als Hauschoreograph verbunden ist. Auf besonderen Wunsch Martin Schläpfers hat der Niederländer seine Arbeit nun dem Wiener Staatsballett und damit erstmals einer weiteren Compagnie anvertraut.
Ballettdirektor und Chefchoreograph Martin Schläpfer antwortete diesem intimen Kammerspiel in seiner ersten Wiener Arbeit mit einem großen Ballett, das er allen Tänzerinnen und Tänzern seines Ensembles widmete. Schlicht 4 nennt er seine Uraufführung zu Gustav Mahlers 4. Symphonie, die ihn mit ihrer hintergründigen Schönheit, ihren gefährdeten Idyllen, aber auch ihrem bösen Humor, ihren scharfen Tönen und ihrer drastischen Schilderung eines ganz und gar nicht himmlischen Paradieses zu einem tänzerischen Welttheater inspirierte. Mahlers Dramaturgie der Brüche und Verwerfungen aufgreifend entfaltet Martin Schläpfer kaleidoskopartige Bilder des Menschen, voller Sehnsucht, Ausgesetztheit und Verlorenheit, traumentrückt oder sich an den großen Fragen des Lebens reibend – Szenen »wie Inseln eines gewaltigen Archipels« untergründig miteinander verbunden.