Über das Werk
Kurzinhalt
Ein Nachlass kommt unter den Hammer. Es sind die Reste eines glamourösen Besitzes einer der schillerndsten Frauen im Paris des 19. Jahrhunderts: der Kurtisane Marguerite Gautier. Eingefunden hat sich auch Armand Duval.
Mitten im geschäftigen Getriebe der Auktion und unter den Blicken der zusammengekommenen Neugierigen überfallen ihn seine Erinnerungen, war er es doch, mit dem Marguerite die wahre Liebe entdeckte. Einen Sommer lang verbrachten sie fernab der Pariser Demi-Monde auf dem Lande ein Leben voller Glückseligkeiten. Doch für Armand stand die Familienehre auf dem Spiel. Und ohne zu wissen, dass sein Vater Marguerite dazu zwang, musste er zusehen, wie seine Geliebte in ihr altes Leben zurückkehrte – und schließlich daran zugrunde ging.
Die
Kameliendame
Handlung
Das Ballett spielt während einer Auktion. Die Handlung entwickelt eine Serie von Erinnerungen, die verschiedene Erzählperspektiven wiedergibt – die von Armand, seinem Vater und die von Marguerite.
Sämtliche Vorgänge der Gegenwart sind in der folgenden Handlung kursiv gedruckt.
Marguerite Gautier, eine der begehrtesten Kurtisanen von Paris, ist gestorben. Die luxuriöse Einrichtung ihres Appartements soll auf einer Auktion versteigert werden. Nanina, ihre treue Dienerin, führt das Tagebuch von Marguerite mit sich und nimmt von ihrer Herrin Abschied. Neben neugierigen Besuchern erscheint auch Monsieur Duval, dessen Sohn Armand verzweifelt hereinstürzt. Von Erinnerungen überwältigt bricht Armand zusammen.
Während Monsieur Duval ihn tröstet, erzählt Armand seine Geschichte.
Sie beginnt im Théâtre des Variétés während einer Vorstellung des Balletts Manon Lescaut, in dem Des Grieux von der berüchtigten Rokoko-Kurtisane mit zahlreichen Bewunderern betrogen wird. Marguerite Gautier ist im Publikum empört über Manons leichtherzige Treulosigkeit. Armand Duval, der schon seit längerem Marguerite verehrt, wird ihr von Gaston Rieux vorgestellt. Marguerite ist amüsiert über Armands befangene Aufrichtigkeit. Während des Balletts fürchtet er, in Des Grieux’ traurigem Schicksal seine eigene Zukunft zu erblicken.
Nach der Vorstellung lädt Marguerite Armand in ihr Appartement ein, mit seinem Freund Gaston, der Kurtisane Prudence und Marguerites Begleiter, dem jungen Grafen N. Verärgert von dem eifersüchtigen Grafen erleidet Marguerite einen Hustenanfall. Armand folgt ihr in das Schlafzimmer, bietet seine Hilfe an und gesteht ihr seine Liebe. Sie ist von Armands aufrichtiger Leidenschaft gerührt. Ihrer tödlichen Krankheit ebenso bewusst wie ihrem unstillbaren Hang nach Komfort und Luxus drängt sie darauf, ihre Affäre geheim zu halten.
Marguerite führt ihr hektisches Leben weiter, eilt von Ball zu Ball, von Verehrer zu Verehrer, vom alten Herzog zum jungen Grafen. Doch immer wartet Armand auf sie. Er folgt ihr selbst aufs Land, wo ihr der Herzog ein Landhaus zur Verfügung gestellt hat.
Marguerites Strohhut veranlasst Armand seine Geschichte fortzuführen …
Umgeben von feiernden Freunden und glühenden Verehrern setzt Marguerite ihr stürmisches Leben auf dem Land fort. Mit der unvermeidbaren Konfrontation zwischen Armand und dem Herzog naht der Moment der Entscheidung. Sie macht ihre Liebe zu Armand öffentlich. Endlich sind Armand und Marguerite allein.
Armands Vater bedauert seine Rolle in dieser Geschichte.
Beschämt, dass sein Sohn mit einer Prostituierten zusammenlebt, sucht Monsieur Duval Marguerite im Landhaus auf. Er ist davon überzeugt, dass ihre Beziehung seinen Sohn verderben wird. Schockiert protestiert Marguerite, doch in ihrem Inneren erscheint Manons Bild und das ihrer Verehrer als ein Spiegelbild ihrer eigenen Vergangenheit und unterstreicht die Gültigkeit von Monsieur Duvals Anschuldigung. Er besteht darauf, dass sie Armand verlässt. Aus Liebe fügt sich Marguerite.
Armand berichtet seinem Vater, wie er das Landhaus verlassen vorgefunden hat.
Vergeblich wartet Armand auf Marguerite, bis Nanina ihm einen Brief überreicht. Er erfährt, dass sie zu ihrem früheren Leben zurückgekehrt ist. Ungläubig eilt Armand nach Paris und findet sie in den Armen des Herzogs.
Armand erzählt seinem Vater, wie sie sich später auf den Champs-Élysées begegnet sind.
Marguerite wird von Olympia begleitet, einer jungen, schönen Kurtisane. Armand flirtet und verführt Olympia. Auf diese Weise übt er Vergeltung an einer Frau, die ihn tief verletzt hat.
Vom Tod gezeichnet sucht Marguerite Armand auf und bittet ihn, sie nicht durch das Prahlen seiner Affäre mit Olympia zu demütigen. Die Leidenschaft zwischen beiden entfacht erneut. Doch im Schlaf wird Marguerite durch eine Vision Manons wieder in ihr altes Leben gewiesen. Als sie erwacht, erinnert sie sich an das Versprechen, das sie Armands Vater gegeben hat. Lautlos verlässt sie Armand zum zweiten Mal.
Auf einem Ball erniedrigt Armand Marguerite öffentlich, indem er ihr Geldscheine als Bezahlung für gewährte Liebesdienste überreicht. Marguerite bricht zusammen.
Armand hat das Ende seiner Geschichte erreicht. Er wird Marguerite niemals wiedersehen. Ergriffen verabschiedet sich sein Vater. Nanina kommt zurück und überbringt Armand das Tagebuch von Marguerite. Armand liest. Ihm scheint, als ob er Marguerite auf ihrem letzten Besuch ins Theater begleitete. Wiederholt sieht sie eine Szene aus dem Ballett Manon Lescaut.
Verarmt stirbt Manon in den Armen ihres treuen Liebhabers Des Grieux. Krank und verzweifelt verlässt Marguerite das Theater. Die Figuren des Balletts folgen ihr in einen fieberhaften Traum. Manon und Des Grieux vermischen sich mit Marguerites eigenen Erinnerungen. Marguerite identifiziert sich mit Manon. Verzweifelt und in Sehnsucht nach Armand vertraut Marguerite ihre letzten Gedanken dem Tagebuch an, das sie Nanina mit der Bitte gibt, es Armand zu überreichen. Marguerite stirbt, von allen verlassen.
Schweigend schließt Armand ihr Tagebuch.
Aus dem Rückblick entwickelt Choreograph John Neumeier Armand Duvals leidenschaftliche Beziehung zu Marguerite Gautier. In einer Theater-im-Theater-Situation begegnen sich die beiden erstmals, sieht Marguerite aber auch in einer als Ballett gezeigten alten Liebestragödie – der Geschichte von Manon Lescaut und dem Chevalier Des Grieux – auf erschütternde Weise ihr eigenes Leben gespiegelt. Raffiniert überblendet Neumeier einer filmischen Dramaturgie folgend »äußere«, die Pariser Gesellschaft mit leichter Hand zeichnende Situationen mit den »inneren« emotionalen Zuständen seiner Figuren, in denen sein Tanz alle erdenklichen psychologischen Schattierungen entfaltet: voller Eleganz und unbeschwerter Fröhlichkeit, trunken von Leidenschaft oder Lebenshunger, in existenzieller Dramatik sich aufbäumend oder von unter die Haut gehender Fragilität im Angesicht des Todes.
In Frédéric Chopin fand er den idealen musikalischen Partner, um voller Virtuosität, aber auch melancholischer Verlorenheit die Oberflächlichkeiten der Pariser Society und menschlichen Leidenschaften zu zeichnen. Das Largo aus Chopins h-Moll-Sonate bildet das immer wiederkehrende Leitmotiv in einer aus Klavierwerken, den beiden Konzerten sowie weiteren Stücken für Klavier und Orchester zusammengestellten Partitur, für die zwei Pianisten sich zu einem Chopin-Marathon treffen, der die Anforderungen eines Recitals weit übersteigt.
Als Alexandre Dumas d. J. 1848 seinen autobiographisch gefärbten Roman La dame aux camélias veröffentlichte, landete er damit nicht nur seinen größten Erfolg, sondern lieferte auch einen der ergreifendsten Stoffe für die Bühne. Nur fünf Jahre später brachte Giuseppe Verdi seine Oper La traviata nach dem Roman in Venedigs Teatro La Fenice auf die Bühne, in einer von Dumas selbst verfassten Schauspielversion feierten Künstlerinnen wie Sarah Bernhardt, Eleonora Duse und Käthe Dorsch Triumphe, Greta Garbo lieh Marguerite ihr Gesicht im Film. Von den Fassungen für die Tanzbühne ist u.a. Frederick Ashtons Ballett Marguerite and Armand hervorzuheben, 1963 geschaffen für zwei herausragende Interpreten: Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew. Nicht weniger spektakulär war die Besetzung, mit der fünfzehn Jahre später das Stuttgarter Ballett John Neumeiers Die Kameliendame präsentierte: ein abendfüllendes Handlungsballett, kreiert für Marcia Haydée, Egon Madsen, Birgit Keil, Richard Cragun, Reid Anderson und viele andere. Bis heute zählt dieses nicht nur zu den bewegendsten, sondern in seinem dramatischen Bau, den mit größter Klarheit und Intensität gestalteten Charakteren und dem in subtilen Bildern und prächtigen Kostümen kongenial das Pariser Flair des 19. Jahrhunderts beschwörenden Design Jürgen Roses zu den Meisterwerken der jüngeren Tanzgeschichte.